A n n e t t e  G o e s s e l

„Nach Norden, nach Norden!

… oder doch in den Süden?“

Samstag,12. Oktober 2019 in der VALENTINY foundation  in Remerschen, Luxemburg

Ein e-Mail-Gespräch über Gletscher, Elfen und „lyrische Aufregungen“… geführt von Kathrin Hondl, Journalistin und Redakteurin mit Annette Goessel.




Du bist in Lübeck aufgewachsen, hast in Stuttgart und Wien studiert und lebst nun schon seit langem in Berlin. Warum zog es Dich vor einigen Jahren nach Island? 


Vor zwölf Jahren wurden meine Familie und ich in Berlin von isländischen Freunden eingeladen, ihr Land zu besuchen. Wir hatten das Glück eine Reise zu machen, die sehr besonders, persönlich und abenteuerlich war.

Das war wahrscheinlich der Grund, dass Island für mich ein „Liebe-auf-den-ersten-Blick“-Land wurde und ich zu einer „Islandfreundin“.




Island ist als touristisches Ziel bei vielen Menschen sehr beliebt. Was hat Dich dort künstlerisch interessiert? Warum hast Du beschlossen, dort zu arbeiten?


Es stimmt, Island hat sehr viel Tourismus mittlerweile.

Da ändert sich viel im Land.

Dennoch gibt es noch weitgehend unbewohnte Landschaften.

Farbklänge, Strukturen, Lichtregie, Gletscherformationen, Lavafelder, Schnee, Wasser, Gestein … Die sichtbaren und die unsichtbaren Naturkräfte haben, zurück in meinem Berliner Atelier, nachhaltig auf mich gewirkt. Als ich dann die Möglichkeit bekam, als Artist in Residence in Kolsstaðir zu arbeiten, war ich mittendrin in der nordischen Materialität.




Wie haben diese Naturkräfte, die nordische Materialität Deine Malerei verändert? Du hast früher ja oft metallische Farben - Gold, Kupfer, Silber - in Deinen Bildern verwendet. Haben die isländischen Naturkräfte mit ihrem Verschwinden zu tun?


Als ich mit metallischen Farben arbeitete, lebte ich in anderen Bezügen und habe mich in einen anderen Kontext gestellt.

Das große Thema war das Ornament, und ich vermalte Silber, Kupfer, Gold als die Repräsentativfarben schlechthin, in geometrisierten Mäandern.

Nach meinem ersten Islandbesuch malte ich noch zwei große Bilder, auf denen Silber die Leinwand herunterläuft. Vielleicht sind es ‘Übergangsbilder‘.

Doch danach habe ich mich bewusst entfernt von diesem malerischen System der für mich gleichbleibenden Formulierungen. Ich wollte ganz woanders wieder einsteigen. Island war ja ein Exit aus der Komplexität, die Suche nach neuen malerischenMöglichkeiten.




Ein Exit aus der Komplexität? Schimmert in oder hinter dieser schönen Formulierung auch ein bisschen « Zurück zur Natur »?


Oder zurück zum Anfang? Oder resigniertes Glück?

Die Verherrlichung der leeren Landschaft ist ja historisch etwas relativ Neues.

Früher waren es die arkadischen Landschaften, die als schön empfunden wurden; und vielleicht kann nur eine übersättigte Gesellschaft diese extrem leere Landschaft als schön empfinden.

Man stellt sich Fragen.... und in der Abgeschiedenheit zu malen, draußen im Wetter, bedeutet auch sich selbst verlieren, und es kann sich etwas anderes melden in diesem Freiraum.

Das Wetter, die Kultur, die Natur – das sind große Themen. In Island sind sie ganz einfach präsent.




Das Wetter … und das Klima! Der Klimawandel, die Klimakrise ist in Island ja sehr deutlich zu spüren und auch zu sehen. Im August wurde dort ein großer Gletscher, derOkjökull‚begraben‘. Wissenschaftler hatten ihn schon 2014 für tot erklärt, weil das Eis geschmolzen war. Dieser ehemalige Gletscher heißt jetzt nur noch Ok - und das ist auch der Titel eines Deiner Gemälde in der Ausstellung. Dein ‚Ok‘ ist ein Tondo - also ein kreisrundes Bild. Dieses Format wurde seit der Antike auch oft zu dekorativen Zwecken in der Architektur verwendet…

Warum hast Du dieses kreisrunde Format gewählt für den toten Gletscher?


In der Antike stand im Mittelpunkt eines Tondos der Mensch, weil es ihn noch zu suchen galt. Bei mir ist es die Natur.

Der Kreis als Symbol für Geschlossenheit, Vollständigkeit, als Verdichtung von Energie. Eine Ode an die Natur.

Als ich in Island war, erzählte man mir, dass der Wetterbericht, vor allem der samstägliche, noch heute von großer Wichtigkeit und Interesse ist. Zu wissen, wie das Wetter im ganzen Land ist, ist auch eine Sicherheitsfrage. Neben Luft- und Meeresströmungen wird das Wetter auch von den Gletschern maßgeblich beeinflusst.

Der Wetterbericht im Radio beschreibt ‚kreisförmig‘, beginnend in Keflavik, eine Art Rundreise über 20 Wetterstationen. Ich begann, ihn mir als ein abstraktes Hörspiel anzuhören, erst in Island und nun auch im Berliner Atelier. 

Als die Gedenktafel für den Okjokull angebracht wurde, war ich in Island. Es wurde so direkt spürbar, was wir hier tun. Das Wetter macht die Landschaft!

Der OK Tondo ist ein Bild, das ich sehr konkret, fast fassbar begonnen habe, dann übermalt - ein Gletscherfragment. Wieder hervorgeholt ins Konkrete und wieder übermalt. Das ging ewig so hin und her, bis ich ihn verschwinden ließ. Übrig geblieben ist die Idee eines Gletschers - eine Fata Morgana.




Eine Fata Morgana ... ist eine optische Täuschung. Etwas Magisches? Island ist das Land der Elfen und Trolle. Wie man so sagt. Kannst Du dazu etwas sagen?


Als ich ankam in Kolsstaðir und mein Gastgeber mir das Atelier, die computergesteuerte Lichtanlage und das Areal zeigte, deutete er auf einen Felsen auf einem Hügel oberhalb des Ateliers und erklärte mir, dass dies das schönste ElfenhausIslands sei. Und wenn die Sonne in einem bestimmten Winkel auf die Vorderseite des Felsens scheine, sehe es so aus, als würde sich die Tür im Elfenhaus öffnen.

Ich dachte bei mir, aus Berlin kommend, okay, das ist ein bisschen Islandfolklore für die Städterin. Aber...

ich mochte diese Geschichte und bin da oft hochgeklettert. Vielleicht zu oft!

Denn einige Tage später - ich war dort nun alleine, kein Mensch weit und breit - arbeitete ich wieder bis spät nachts an meinen „Lavabildern“, gab einige in Passepartouts und lehnte sie an die Wand. Am nächsten Morgen waren auf den vorher tipptopp sauberen Passepartouts farbige Flecken wie kleine Abdrücke. Ich starrte darauf und dachte, das kann nicht sein. Gibt es hier Mäuse? Können die in Island waagerecht an der Wand entlanglaufen?

Mein Gastgeber kam nach einiger Zeit aus Reykjavik und ich zeigte ihm die Passepartouts und fragte ihn, woher diese Flecken kommen könnten.

Er antwortete sehr ernst:

„ Annette, that were the elves“.




Was sind das für Bilder, die sich die Elfen da offenbar genauer angeschaut haben?


Aus der Entfernung sehen Lavafelder unspektakulär aus - eine grau-grün-braune Fläche. Geht man hinein wird es fast bunt, lyrisch und wuchtig, zart und grob. Es ist eine Welt, die sich auf den zweiten Blick erschließt. Es wird dann visuell spürbar, wie die Lavazunge sich ergossen hat oben aus dem Vulkan. Die Stofflichkeit und Materialität zeigt langsam entfaltete Zeit. Ich kam nach Island mit dem Plan, große ausufernde informelle Arbeiten zu malen, gegen jede Begrenzung.

Nun, in den Lavafeldern, kam die Idee etwas kleines delikates in diesen Leerstellen der Landschaft zu machen.

Ich begann Abdrücke zu nehmen, kleine Papiere durchs Wasser zu schicken. Ich wollte draußen in Bewegung bleiben und erst später im Atelier arbeiten.

So begann ein jahrelanger Prozess und eine Art Archivierung lyrischer Aufregungen - und das Archiv geht weiter. Diese kleinen Papiere, 9,5x9,5 cm, aus den Lavafeldern haben wohl das Elfeninteresse geweckt.




In der VALENTINY foundation zeigst Du diesesArchiv zusammen mit großformatigen Gemälden und Tondi sowie einer Soundinstallation. Die Elfen raunen « Gesamtkunstwerk » … Inwiefern kommunizieren die einzelnen Werke miteinander?Was ist Dir wichtig bei der Präsentation dieses Ensembles?


Ich stelle in den Räumen des Architekten François Valentiny aus; es geht also auch um Architektur. Die Wände sind weiß, die Raumfolge dynamisch.

Ich verwende traditionelle, wenn auch unterschiedlich geformte Bildträger. Kreisrunde, lasierend, Schicht um Schicht, in sich geschlossene Gemälde kommunizieren mit sehr schmalen langen, offen gemalten „Gletscherfragmenten“. Die Werke werden sowohl als Solitäre gezeigt, als auch als Kunstwerke in vergleichender Reihung.

Durch die Soundinstallation wird die äußere Welt hineingelassen und die Neutralität des Raumes aufgehoben.

Wichtig ist mir, ein “Kunsterlebnis“ zu entwickeln, das eine besondere Form des Denkens ermöglicht, die sich aus Wahrnehmung und Empfindung speist und woanders nicht möglich wäre.


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